Wenn wir gewußt hätten, was auf uns zukommt...
Schon der Kartenkauf war ein Erlebnis (danke Flo!!!): 1 Stunde Schlangestehen
im Tower Records und dann akzeptieren die nur VISA und keine MC
Naja, immerhin hat das Bargeld für unsere Entradas gereicht. (gut,
wir hätten noch ein paar für Leo und Crew gebraucht, aber ist
ja schon halbwegs verständlich, dass Visa als Hauptsponsor keine
anderen Kreditkarten zulässt...)
Nun denn, der Tag des Konzerts, Leo hat sich anderweitig Karten besorgt
und kommt mit Kind und Kegel. Sein Vorschlag: Besonders früh hin,
wird ein Quilombo! Konzertbeginn (Vorband) übrigens 20 Uhr, die Peppers
(hier versteht man nur: [Ched Chot (mit rauhem ch wie in "auch")]
werden für 21 Uhr erwartet. Naja, drei Stunden früher? Das überlegen
wir uns nochmal. Aber mit argentinischer Zeitverzögerung wird es
sowieso etwas später. Kurz vor knapp erhalten wir den obligatorischen
Chaosanruf von Damian: Ob wir nicht irgendwie evtl. für ihn Karten
organisieren könnten, also eigentlich mal hingehen, Handy mitnehmen,
checken was es so kostet, ihn dann mal anrufen, 'ne Karte kaufen, evtl.
auch 2, das weiß er aber noch nicht, und außerdem hat noch
Reha für den Arm, später wird er kommen, aber wir können
uns dann ja noch irgendwo treffen oder so, wie wärs??? Leo macht
ihm folgendes klar: 1.) 50000 Leute! 2.) Nein! Na gut, sagt Damian, irgendwie
wird er schon hinkriegen.
Kurzfristig findet sich auch noch Lars ein, der beschließt den Schwarzmarkt
nach Karten hin zu durchsuchen. Wir als Konzertkenner beruhigen ihn, dass
es auf jedem Konzert nen Schwarzmarkt gibt, dass das echt einfach verdientes
Geld wäre und 100 Peso für ne Schwarzmarktkarte auszugeben (statt
35 normal) wäre für uns ja auch noch drin.
Gegen 16 Uhr machen wir uns mit dem Bus auf den Weg in Richtung
Cancha de River. Auf dem Weg treffen wir an einer schon dicht frequentierten
Kreuzung Flo und Thomas (übrigens ein ehem. Schulkollege von Flo
aus Hamburg, der jetzt in Bs.As. lebt und den er zufällig im Ribera
Este wiedergetroffen hat - es ist wie im Dorf hier.
Jo und Jules warten gegenüber vom Eingang während Lars und Leo
'ne Schwarzmarktkarte suchen und Leos Anhang (seine Schwester und seine
Freundin), noch mal "schnell" irgendwo aufs Klo wollen. Währenddessen
sucht der Rest (Sarah, Ines, Flo und Thomas) schon mal das Ende der Schlange
auf, die sich entlang der Straße in hübscher Vierergliederung
geformt hat.
Nach 40 min. warten werden wir langsam nervös, keine Spur
von den Karten- und Klosuchenden
Was sollten wir bloß machen,
wenn die Schlangesteher vor den anderen wieder auf unserer Höhe sind!?
Naja, ist ja schließlich erst halb 6, kann ja nichts schief
gehen. Uns fällt auf, dass am ersten Engpass, wo die Schlange zwischen
einer Holzwand und dem Stadionaußenzaum verschwindet, nur 3 Ordner
stehen. Noch machen wir uns keine Gedanken
Erstes Hindernis: Es gibt keine Karten. Niemand wollte verkaufen, niemand
hatte zu viele - so viel zu Geschäftstüchtigkeit
Die Lösung
für dieses Problem war leicht gefunden: Korruption - 100 Peso irgend
nem Türsteher in die Hand gedrückt, worauf Lars durch ein großes
Tor auf dem Stadiongelände verschwand.
Als die Mädels wiederkamen, machten wir uns daran die Schlange abzulaufen.
5 min. später immer noch kein Ende in sicht
1 km weiter
"also, kann doch nicht sein, dass wir am Flo vorbei laufen"
15 min. später
"irgendwie bewegt sich die Schlange
hier hinten viel langsamer als vorne"
Und endlich, ca. 2 km.
Weiter hinten haben wir die brav seit 'ner Stunde wartenden gefunden.
18 Uhr und ein paar zerquetschte.
Wie wir schon aus diversen Lebenssituationen gewöhnt sind beginnt
das fröhliche Schlangestehen, was hier niemandem was auszumachen
scheint. 19 Uhr 30. Noch immer laufen Leute an uns vorbei ans Schlangende,
das mittlerweile mindestens 2 Kilometer weiter hinter uns liegen muss.
Uns fällt wieder die unglaubliche Geschäftstüchtigkeit
der Argentinier auf: An jeder Straßenecke, im Bus, in der Fußgängerzone
- sprich: ÜBERALL - werden den Vorbeieilenden Kaugummis verkauft.
An einer 3 km langen Schlange mit 25.000 Leuten kommt niemand auf die
Idee was zu trinken zu verkaufen. 20 Uhr. Langsam dämmert
uns das Ausmaß der Tragödie: Die wollen tatsächlich alle
Leute die in den Stadioninnenraum wollen (25.000) durch einen Eingang
reinlassen. Irgendwie kommt uns das komisch vor, dass immer mehr Leute
vom Schlangenende in Richtung Eingang an uns vorbeilaufen (!?) 20.30
Uhr, immer noch fehlen ca. 800m. Naja, die werden wohl erst später
anfangen
Gegen 21 Uhr (nach über 3 Stunden warten !!!)
hören wir von weiter vorne (noch 300m) aus Richtung Eingang die erste
Unruhe.
Jo und Flo gehen die Lage peilen. Leicht schockiert kehren beide zurück.
Dort wo sich vorne andauernd Leute reindrängeln haben aufgrund der
Abwesenheit von Ordnern (genau, die drei haben sich schon aus Schiss weggemacht)
die einzigen zwei anwesenden Polizisten (auch noch auf Pferden) der Sache
annehmen. (Man bedenke in ganz Buenos Aires hängen an jeder Strassenecke
nichtsnutzige Polizisten rum, doch bei einem 70.000 Mann-Konzert sind
es immerhin 2.) Um die Schlange zur Ordnung zu bewegen beschliessen die
Polizisten ein Exempel zu statuieren und einen Vordrängler nach hinten
zu schicken. Als der nicht parieren will kriegt er kurzerhand vom hohen
Ross herab die Pferdezügel ins Gesicht! Dies lässt er sich nicht
gefallen, und schlägt mit voller Wucht zurück... das Pferd!!
Ein Zittern liegt in der Luft, die Menge macht Platz für den Kampf
Mann gegen zwei-Mann-auf-Pferd, die Stimmung ist angespannt, erste Plastikflaschen
fliegen in Richtung der Polizisten, die Pferde treten aus... Die Verfolgungsjagd
mag zwar für den Leser recht witzig klingen, aber als der Mann zum
zweiten Mal beschliesst dem armen Pferd eins mit einem Stock ins Gesicht
überzubraten, drehen die Polizisten beinahe durch. Der einzige Grund
für die icht-Eskalation dieser Situation ist wahrscheinlich in der
Übermacht von einigen Tausend Mann gegen zwei Polizisten zu suchen...:
Auch Thomas peilt weiter vorne die Lage: "Leute, das können
wir vergessen, vorne bilden sich Riesenknubbel von Menschen vor den Engpässen,
da kommen wir nie durch"
Kurz nach 9: der richtige Quilombo beginnt: Es wird immer enger,
die hübsche vierer Reihe ist zu einem 20er Chaos mutiert. Rechts
Zaun, links Leute, der Engpass noch 50 m weit weg. Drücken, am Zaun
festhalten ("der scheiß Zaun gibt nach), auf die halb so großen
Argentinierinnen aufpassen, die um ihr Leben kämpfen. Zusammenbleiben.
Sarah: "Ich will raus" - die Frage ist nur wie. Trotz alles
Krafteinsatzes werden wir nach außen getragen und sind nach knapp
4 Stunden raus aus der Schlange. Die Ordner sind ja längst weg. Verzweifelung
macht sich breit. Kann nicht klargehen. Die Gruppe trennt sich - klar
dass die 2Idiotas mit dem Kopf durch die Wand wollen. Ab zum Engpass und
rein ins Gedränge. Halb 10! Folgendes lässt sich schwer
in Worte fassen - nur soviel: Rock am Ring, erste Reihen ist dagegen ein
Kindergeburtstag. Wir kämpfen 60 volle Minuten mit den schweißnassen
Körpern um uns herum. Die Argentinier motivieren sich Gegenseitig:
"Sind nur noch 50m, dann endlich Red Hot
" Vollkommen nass
(wenn ich sage nass meine ich wirklich pitschnass kommen wir am Stadioneingang
an; es gibt niemanden der die Karten kontrolliert, geschweige denn einen
Sicherheitscheck macht. Kaum raus aus dem Quilombo sind die Argentinier
wieder fit - wir brauchen erst mal ne Pause. Was wir auch noch so nebenbei
mitkriegen: Neben uns auf der Strasse rennen zeitweilig Menschenmassen
vor irgendetwas schrecklichem am anderen Ende der Strasse weg... Waren
es etwa die zwei Busse vollbesetzt von mit maschinengewehrbestückten
Polizisten, die just zu dieser Zeit ankamen?
10.15 Uhr: Rein ins Stadion. Irre. Vollbesetzt. Wo sind bloß
alle anderen!? Nach 10 min. erspähen wir unter den 25.000 im Innenraum
Leo
Er führt uns zu Schwester und Freundin. Weitere 5 min.
später kommen Sarah und Ines jubelnd auf uns zugelaufen . Im Gepäck:
Flo und Thomas. Unglaublich: Auch Lars, der sein eigenes Abenteuer erlebt
hat (von wegen für 100 Peso ins Stadion - inklusive Ordner überrennen,
über Zäune springen und durch Fenster klettern stößt
zu uns. Fazit: nach dem Megaquilombo haben wirs geschafft uns innerhalb
von 15 min. unter 25.000 Leuten wiederzufinden.
10.30 Uhr: Konzert. Sehr Geil. Stimmung eher mäßig.
Außer "la paz es muy importante" und "esta canción
es por Diego Maradonna" kriegen die Chilis kein Wort raus. Es werden
mehr so die populären Lieder gespielt. Mitsingen kann leider kaum
jemand. Es macht den Eindruck als wären nur wenige Fans vor Ort.
Nach dem letzten Lied war im Stadion absolutes Silencio angesagt.
00:15 Uhr: Es gibt mehrere Ausgänge - das weiß nur keiner.
Die Tribühnenhocker haben nichts Besseres zu tun, als zu den 25.000
in den Innenraum zu strömen (wir erinnern: Ordner gab's nicht). Schon
wieder Quilombo. Da blieb uns nichts anderes als pure Resignation
Nachtrag zu Geschäftstüchtigkeit: Von den knapp 60.000 Taxis
in Buenos Aires kommt niemand auf die Idee nach Konzertende am Stadion
vorbeizuschaun.
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