16.10.2002

Entrada del día

Cifra del día
ca. 5.000

= Relation "Schlangesteher am Stehplatzeingang" pro "eine sich in die Hose scheissende Sicherheitsperson"

El Recital (o el quilombo)

Wenn wir gewußt hätten, was auf uns zukommt...

Schon der Kartenkauf war ein Erlebnis (danke Flo!!!): 1 Stunde Schlangestehen im Tower Records und dann akzeptieren die nur VISA und keine MC… Naja, immerhin hat das Bargeld für unsere Entradas gereicht. (gut, wir hätten noch ein paar für Leo und Crew gebraucht, aber ist ja schon halbwegs verständlich, dass Visa als Hauptsponsor keine anderen Kreditkarten zulässt...)

Nun denn, der Tag des Konzerts, Leo hat sich anderweitig Karten besorgt und kommt mit Kind und Kegel. Sein Vorschlag: Besonders früh hin, wird ein Quilombo! Konzertbeginn (Vorband) übrigens 20 Uhr, die Peppers (hier versteht man nur: [Ched Chot (mit rauhem ch wie in "auch")] werden für 21 Uhr erwartet. Naja, drei Stunden früher? Das überlegen wir uns nochmal. Aber mit argentinischer Zeitverzögerung wird es sowieso etwas später. Kurz vor knapp erhalten wir den obligatorischen Chaosanruf von Damian: Ob wir nicht irgendwie evtl. für ihn Karten organisieren könnten, also eigentlich mal hingehen, Handy mitnehmen, checken was es so kostet, ihn dann mal anrufen, 'ne Karte kaufen, evtl. auch 2, das weiß er aber noch nicht, und außerdem hat noch Reha für den Arm, später wird er kommen, aber wir können uns dann ja noch irgendwo treffen oder so, wie wärs??? Leo macht ihm folgendes klar: 1.) 50000 Leute! 2.) Nein! Na gut, sagt Damian, irgendwie wird er schon hinkriegen.

Kurzfristig findet sich auch noch Lars ein, der beschließt den Schwarzmarkt nach Karten hin zu durchsuchen. Wir als Konzertkenner beruhigen ihn, dass es auf jedem Konzert nen Schwarzmarkt gibt, dass das echt einfach verdientes Geld wäre und 100 Peso für ne Schwarzmarktkarte auszugeben (statt 35 normal) wäre für uns ja auch noch drin.


Gegen 16 Uhr machen wir uns mit dem Bus auf den Weg in Richtung Cancha de River. Auf dem Weg treffen wir an einer schon dicht frequentierten Kreuzung Flo und Thomas (übrigens ein ehem. Schulkollege von Flo aus Hamburg, der jetzt in Bs.As. lebt und den er zufällig im Ribera Este wiedergetroffen hat - es ist wie im Dorf hier.
Jo und Jules warten gegenüber vom Eingang während Lars und Leo 'ne Schwarzmarktkarte suchen und Leos Anhang (seine Schwester und seine Freundin), noch mal "schnell" irgendwo aufs Klo wollen. Währenddessen sucht der Rest (Sarah, Ines, Flo und Thomas) schon mal das Ende der Schlange auf, die sich entlang der Straße in hübscher Vierergliederung geformt hat.
Nach 40 min. warten werden wir langsam nervös, keine Spur von den Karten- und Klosuchenden… Was sollten wir bloß machen, wenn die Schlangesteher vor den anderen wieder auf unserer Höhe sind!? Naja, ist ja schließlich erst halb 6, kann ja nichts schief gehen. Uns fällt auf, dass am ersten Engpass, wo die Schlange zwischen einer Holzwand und dem Stadionaußenzaum verschwindet, nur 3 Ordner stehen. Noch machen wir uns keine Gedanken…
Erstes Hindernis: Es gibt keine Karten. Niemand wollte verkaufen, niemand hatte zu viele - so viel zu Geschäftstüchtigkeit… Die Lösung für dieses Problem war leicht gefunden: Korruption - 100 Peso irgend nem Türsteher in die Hand gedrückt, worauf Lars durch ein großes Tor auf dem Stadiongelände verschwand.
Als die Mädels wiederkamen, machten wir uns daran die Schlange abzulaufen. … 5 min. später immer noch kein Ende in sicht … 1 km weiter… "also, kann doch nicht sein, dass wir am Flo vorbei laufen" … 15 min. später … "irgendwie bewegt sich die Schlange hier hinten viel langsamer als vorne"… Und endlich, ca. 2 km. Weiter hinten haben wir die brav seit 'ner Stunde wartenden gefunden. 18 Uhr und ein paar zerquetschte.
Wie wir schon aus diversen Lebenssituationen gewöhnt sind beginnt das fröhliche Schlangestehen, was hier niemandem was auszumachen scheint. 19 Uhr 30. Noch immer laufen Leute an uns vorbei ans Schlangende, das mittlerweile mindestens 2 Kilometer weiter hinter uns liegen muss. Uns fällt wieder die unglaubliche Geschäftstüchtigkeit der Argentinier auf: An jeder Straßenecke, im Bus, in der Fußgängerzone - sprich: ÜBERALL - werden den Vorbeieilenden Kaugummis verkauft. An einer 3 km langen Schlange mit 25.000 Leuten kommt niemand auf die Idee was zu trinken zu verkaufen. 20 Uhr. Langsam dämmert uns das Ausmaß der Tragödie: Die wollen tatsächlich alle Leute die in den Stadioninnenraum wollen (25.000) durch einen Eingang reinlassen. Irgendwie kommt uns das komisch vor, dass immer mehr Leute vom Schlangenende in Richtung Eingang an uns vorbeilaufen (!?) 20.30 Uhr, immer noch fehlen ca. 800m. Naja, die werden wohl erst später anfangen… Gegen 21 Uhr (nach über 3 Stunden warten !!!) hören wir von weiter vorne (noch 300m) aus Richtung Eingang die erste Unruhe.
Jo und Flo gehen die Lage peilen. Leicht schockiert kehren beide zurück. Dort wo sich vorne andauernd Leute reindrängeln haben aufgrund der Abwesenheit von Ordnern (genau, die drei haben sich schon aus Schiss weggemacht) die einzigen zwei anwesenden Polizisten (auch noch auf Pferden) der Sache annehmen. (Man bedenke in ganz Buenos Aires hängen an jeder Strassenecke nichtsnutzige Polizisten rum, doch bei einem 70.000 Mann-Konzert sind es immerhin 2.) Um die Schlange zur Ordnung zu bewegen beschliessen die Polizisten ein Exempel zu statuieren und einen Vordrängler nach hinten zu schicken. Als der nicht parieren will kriegt er kurzerhand vom hohen Ross herab die Pferdezügel ins Gesicht! Dies lässt er sich nicht gefallen, und schlägt mit voller Wucht zurück... das Pferd!! Ein Zittern liegt in der Luft, die Menge macht Platz für den Kampf Mann gegen zwei-Mann-auf-Pferd, die Stimmung ist angespannt, erste Plastikflaschen fliegen in Richtung der Polizisten, die Pferde treten aus... Die Verfolgungsjagd mag zwar für den Leser recht witzig klingen, aber als der Mann zum zweiten Mal beschliesst dem armen Pferd eins mit einem Stock ins Gesicht überzubraten, drehen die Polizisten beinahe durch. Der einzige Grund für die icht-Eskalation dieser Situation ist wahrscheinlich in der Übermacht von einigen Tausend Mann gegen zwei Polizisten zu suchen...:
Auch Thomas peilt weiter vorne die Lage: "Leute, das können wir vergessen, vorne bilden sich Riesenknubbel von Menschen vor den Engpässen, da kommen wir nie durch"
Kurz nach 9: der richtige Quilombo beginnt: Es wird immer enger, die hübsche vierer Reihe ist zu einem 20er Chaos mutiert. Rechts Zaun, links Leute, der Engpass noch 50 m weit weg. Drücken, am Zaun festhalten ("der scheiß Zaun gibt nach), auf die halb so großen Argentinierinnen aufpassen, die um ihr Leben kämpfen. Zusammenbleiben. Sarah: "Ich will raus" - die Frage ist nur wie. Trotz alles Krafteinsatzes werden wir nach außen getragen und sind nach knapp 4 Stunden raus aus der Schlange. Die Ordner sind ja längst weg. Verzweifelung macht sich breit. Kann nicht klargehen. Die Gruppe trennt sich - klar dass die 2Idiotas mit dem Kopf durch die Wand wollen. Ab zum Engpass und rein ins Gedränge. Halb 10! Folgendes lässt sich schwer in Worte fassen - nur soviel: Rock am Ring, erste Reihen ist dagegen ein Kindergeburtstag. Wir kämpfen 60 volle Minuten mit den schweißnassen Körpern um uns herum. Die Argentinier motivieren sich Gegenseitig: "Sind nur noch 50m, dann endlich Red Hot…" Vollkommen nass (wenn ich sage nass meine ich wirklich pitschnass kommen wir am Stadioneingang an; es gibt niemanden der die Karten kontrolliert, geschweige denn einen Sicherheitscheck macht. Kaum raus aus dem Quilombo sind die Argentinier wieder fit - wir brauchen erst mal ne Pause. Was wir auch noch so nebenbei mitkriegen: Neben uns auf der Strasse rennen zeitweilig Menschenmassen vor irgendetwas schrecklichem am anderen Ende der Strasse weg... Waren es etwa die zwei Busse vollbesetzt von mit maschinengewehrbestückten Polizisten, die just zu dieser Zeit ankamen?
10.15 Uhr: Rein ins Stadion. Irre. Vollbesetzt. Wo sind bloß alle anderen!? Nach 10 min. erspähen wir unter den 25.000 im Innenraum Leo… Er führt uns zu Schwester und Freundin. Weitere 5 min. später kommen Sarah und Ines jubelnd auf uns zugelaufen . Im Gepäck: Flo und Thomas. Unglaublich: Auch Lars, der sein eigenes Abenteuer erlebt hat (von wegen für 100 Peso ins Stadion - inklusive Ordner überrennen, über Zäune springen und durch Fenster klettern stößt zu uns. Fazit: nach dem Megaquilombo haben wirs geschafft uns innerhalb von 15 min. unter 25.000 Leuten wiederzufinden.
10.30 Uhr: Konzert. Sehr Geil. Stimmung eher mäßig. Außer "la paz es muy importante" und "esta canción es por Diego Maradonna" kriegen die Chilis kein Wort raus. Es werden mehr so die populären Lieder gespielt. Mitsingen kann leider kaum jemand. Es macht den Eindruck als wären nur wenige Fans vor Ort. Nach dem letzten Lied war im Stadion absolutes Silencio angesagt.
00:15 Uhr: Es gibt mehrere Ausgänge - das weiß nur keiner. Die Tribühnenhocker haben nichts Besseres zu tun, als zu den 25.000 in den Innenraum zu strömen (wir erinnern: Ordner gab's nicht). Schon wieder Quilombo. Da blieb uns nichts anderes als pure Resignation…
Nachtrag zu Geschäftstüchtigkeit: Von den knapp 60.000 Taxis in Buenos Aires kommt niemand auf die Idee nach Konzertende am Stadion vorbeizuschaun.



Observaciones

Das ganze Konzert war eine einzige Observación. Dass die Organisation nicht so wie in Deutschland werden würde hatten wir uns schon gedacht. Aber das...
Ach ja: Wellenbrecher im Stadion? Mitnichten. Ambulanzanwesenheit? Null.... Aber in der Zeitung am nächsten Tag waren auch nur die gespielten Lieder erwähnt, scheint also alles ganz so wie immer gewesen zu sein.


Vocabulario

quilombo: hat für uns eine ganz neue Bedeutung gewonnen...
hacer la cola - Schlangestehen
colarse - sich vordrängeln
barrera - Absperrung